„Für mich ist es eine Ehre, Erfurt zu vertreten.“

von Katharina Lieske

Der Erfurter Ausnahmeturner Nils Dunkel (21) wird ab dem kommenden Donnerstag zum zweiten Mal für das deutsche Männer Turn-Team bei den European Championships in Glasgow an den Start gehen. In den vergangenen Wochen bereitete er sich mit den Mannschaftskollegen in Kienbaum auf die EM vor und blickt hoffnungsvoll auf den Einzug in das Teamfinale.

Im vergangenen Monat gewann Ihr Team zu sechst den Länderkampf gegen Schweiz, Frankreich und Großbritannien. Dabei ging es auch final um die fünf Tickets für Glasgow. Wie fühlen Sie sich jetzt als Teil des EM-Teams?
Dunkel: Ich fühle mich gut vorbereitet und bin verletzungsfrei durch die Wochen gekommen. Allerdings hatte ich zunächst nicht mit einer Teilnahme am Länderkampf gerechnet, da die Qualifikation für mich weniger optimal lief. Für den EM-Kader standen mit Marcel Nguyen, Andreas Toba, Andreas Bretschneider und Nick Klessing bereits vier Namen fest. Die Entscheidung musste also zwischen mir und Philipp Herder fallen. Im Länderkampf habe ich dann alles gegeben, konnte zwei super Übungen zeigen und hatte am Ende bereits ein sehr gutes Gefühl. Philipp musste dagegen einige Fehler in Kauf nehmen, könnte mit einem Einsatz am Boden aber wiederum drei statt nur zwei Geräte turnen, mit denen er das Team unterstützt. Zur Auswertung in Kienbaum hieß es „Nils, wir haben uns für dich entschieden“.

Wie viel Druck liegt auf einem jungen Sportler, der bei der EM starten darf?
Dunkel: So richtig habe ich über diese Öffentlichkeit noch nicht nachgedacht, obwohl ich im letzten Jahr schon international gestartet bin. Diese EM wird etwas anders sein, weil es ein Mannschaftsevent ist. Ein gewisser Druck, das Team nicht zu enttäuschen, ist schon da, aber ich würde sagen, dass der Zusammenhalt untereinander viel größer ist.

Wie verliefen Ihre unmittelbaren Vorbereitungen auf die EM?
Dunkel: Vor der Qualifikation für den Länderkampf lag der Fokus im Training auf den jeweiligen Einsatzgeräten. Von meinen 23 Übungen am Pauschenpferd waren nur fünf Fehlübungen dabei. Da kann man sozusagen von einer hohen Trefferquote sprechen, was sich positiv auf das Ego auswirkt. Danach ging es darum, sich allgemein auf die Geräte einzustellen. In Glasgow werden wir an Geräten des Herstellers Gymnova turnen, in Deutschland sind es Geräte von Spieth. Das ist schon mal eine bedeutende Umstellung.

Wo genau liegen hier die Unterschiede?
Dunkel: Zum einen sind es die Farben des Untergrunds. Die Matten von Gymnova sind beige statt blau. Das ist ungewohnt für die Orientierung. Die Geräte sind im Allgemeinen anders aufgebaut, haben andere Strukturen. Dabei federt beispielsweise das Reck ganz anders und auf sowas muss man sich einstellen, was etwa zwei bis drei Tage dauert.

Welche Ziele hat sich das deutsche Männerteam für die EM gesetzt?
Dunkel: Als Team haben wir uns vorgenommen, uns so weit wie möglich nach vorn zu kämpfen. Wir möchten unbedingt das Teamfinale erreichen, was möglich sein sollte. Wenn alles optimal läuft, hätten wir durchaus eine Chance auf Platz 3. Das hieße aber auch, wir müssten uns gegen Teams wie der Schweiz, den Niederlanden und Frankreich durchsetzen, die ähnlich stark sind. Da geht es nur noch darum, wer die wenigsten Fehler macht. Ein  Platz auf dem Treppchen wäre also das große Ziel, aber es wird schwer. Und theoretisch wären da am Sonntag noch die Gerätefinals, wo ich meine Chancen am Pauschenpferd und Barren allerdings als weniger hoch einschätze. Die europäische Konkurrenz ist an diesen beiden Geräten extrem stark. In Hinblick auf das Team werde daher ich nicht meine schwierigsten, sondern stabilsten Übungen zeigen.

Wie werden die Tage in Glasgow für Sie und das Team ablaufen?
Dunkel: Wir haben eine Art Workplan mit genauen Trainingszeiten.  Nach unserer Ankunft in Glasgow wird es ein Training geben, um die Reise quasi „weg zu turnen“, am Dienstag folgen Fitness im Hotel und ein Podiumstraining am Abend. Zur Vorbereitung auf die Qualifikation am Donnerstag werden am Mittwoch zwei Trainingseinheiten von jeweils 2 Stunden auf uns zukommen.

Wie sieht es bei Ihnen mit der Aufregung vor einem Wettkampf aus?
Dunkel: Die Aufregung kommt meistens erst, wenn ich tatsächlich die Wettkampfarena betrete. Vorher wirkt das alles immer noch sehr irreal. Aber sowas wie ein Ritual habe ich nicht. Ich höre vor dem Wettkampf immer Musik, um nochmal runter zu kommen, mir meine Übungen durch den Kopf gehen zu lassen. Als Team haben wir uns bisher noch keinen Schlachtruf überlegt.

Die European Championships wurden als „Kampf gegen“ und auch „Gegenmittel zum“ Fußball betitelt. Welche Bedeutung messen Sie diesem Multisport-Event bei?
Dunkel: Das Format eines Multisport-Events finde ich sehr gut. Jetzt bekommen auch Sportarten, die sonst nur in der zweiten Reihe stehen dürfen mediales Interesse. Für die Turn-EM – und das betrifft sicherlich auch andere Sportarten- gibt es meistens keinen Livestream, aber diesmal wird das ZDF die Finals übertragen. So viel Aufmerksamkeit sollte nicht nur auf den Fußball gelegt werden.

Sollte es Ihrer Meinung nach mehr Events dieser Art geben?
Dunkel: Ich finde, man sollte an dieser Form auch in Zukunft festhalten. Soweit ich weiß, werden die Deutschen Meisterschaften im nächsten Jahr ähnlich ausgetragen, quasi als Sommersportwochenende.

Das deutsche Juniorenteam wird ebenfalls in Glasgow zur EM starten.
Dunkel: Ja, mit den Junioren stehen wir in engem Kontakt. Wir haben gemeinsam in Kienbaum trainiert und kennen uns untereinander gut. Dadurch, dass beide Meisterschaften zur gleichen Zeit stattfinden, zieht es viele Sportinteressierte auch zu den Wettkämpfen der Junioren, was dich als Sportler motiviert und das Event noch viel größer erscheinen lässt. Wir werden die Wettkämpfe der Junioren verfolgen und hoffen, dass sie optimale Leistungen abrufen können.

Sollte das deutsche Turn-Team am Samstag im Finale starten, ist sogar ein Public Viewing in Erfurt geplant. Was bedeutet es Ihnen, zu wissen, dass die Heimat mitfiebert?
Dunkel: Das ist ein schönes Gefühl. Mir ist es persönlich sehr wichtig, dass so viele Leute wie möglich bei den Wettkämpfen zuschauen. Vor allem weiß ich diesmal, dass nicht nur die Leute in der Halle meine Übung sehen können, sondern auch meine Eltern, Freunde und viele Leute zu Hause, die mich kennen. Für mich ist es eine Ehre, Erfurt zu vertreten.

 

Das deutsche Männerteam wird am Donnerstag ab 19.30 Uhr mit der Qualifikation für das Teamfinale am Samstag (11.08.) und die Gerätefinals am Sonntag (12.08.) in die EM starten. Beide Finals werden am Wochenende im ZDF Livestream übertragen.

Das Interview führte Katharina Lieske.

 

Zurück